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Kapitel 2

 

 

E

s zeigt sich immer wieder, die aufregendsten Erlebnisse treffen einen total unvorbereitet - ja geradezu wie aus heiterem Himmel. Der Dienst in der Abteilung hatte inzwischen den Reiz des Neuen verloren. Routine begann sich breit zumachen. Die Aufstellung der Observationsgruppe war noch lange nicht abgeschlossen und man musste aufpassen, dass kein Frust aufkam. Die langweiligen BvD-Dienste trugen auch nicht gerade zur Erheiterung bei.

 

Es war der 30. Mai 1974.

Zwar ging an diesem Tag die Welt nicht unter, wie es immer wieder in dem Lied angekündigt wird, aber ich war für den BvD-Dienst eingeteilt. Der einzige Trost und Ausgleich war der freie Vormittag. Ich brauchte erst um 13.00 Uhr anzufangen und da meine Frau in dieser Woche ebenfalls Spätschicht hatte, nutzten wir die frühen Stunden für einen Einkaufsbummel. Wir genossen es damals schon, als einige der ersten Kunden durch Kaufhäuser und Geschäfte zu streifen. Unser Bummel durch die Innenstadt war eigentlich schon beendet. Wir befanden uns auf dem Weg zu unserem Wagen, der wie immer im Parkhaus abgestellt war. Die tollen Angebote waren nicht zu finden gewesen. Dafür brauchten wir aber auch keine Tüten zu tragen.

Langsam schlenderten wir durch die Große Packhoffstraße, warfen noch einen letzten Blick in die Schaufenster des Schuhhauses „gisy“ und bogen schließlich in die Andreaästraße ein. Wir hatten es nicht eilig. Keine fünfzig Meter von der Einmündung entfernt, ungefähr in Höhe des Fischrestaurants „Seestern“, hörte ich hinter uns das Laufen mehrerer Personen, die irgendetwas laut riefen. Mein erster Gedanke war: Da hat einer von den Ständern bei „gisy“ ein paar Schuhe geklaut.

Meine Neugierde trieb mich zur Ecke zurück. Vielleicht konnte ich ja einem Hausdetektiv behilflich sein. Sicherlich hat mir meine Frau noch hinterher gerufen, dass ich mich da nicht einmischen soll; ich hörte es jedoch schon nicht mehr.

Bevor ich einen Passanten nach den Grund der Rennerei fragen konnte, kam eine kleine Gruppe vorbeigelaufen, die immer wieder „Bankräuber, Bankräuber“ rief.

Daraufhin lief ich zu einem Verfolger, sagte ihm noch im Laufen, dass ich von der Polizei sei und erkundigte mich, welche der Personen vor uns denn der Bankräuber sein wäre. Noch bevor er mir antworten konnte sah ich, wie ein junger Mann, der mitten auf der Fahrbahn lief und in einer Hand eine Plastiktüte trug, sich umdrehte, stehen blieb, aus dem Hosenbund einen großen Revolver zog und einen Schuss damit abgab. Eine Wirkung, wie zum Beispiel Scheibenklirren oder Ähnliches, nahm ich nicht war. Da der Knall auch recht laut gewesen war, schloss ich nicht aus, dass es sich um eine Schreckschusswaffe handeln könnte.

Die Situation war jedoch damit für mich erstmal überschaubar und klar geworden. Der Täter hatte eine Schusswaffe und war auch bereit sie einzusetzen, um sich die lästigen Verfolger vom Leib zu halten. Niemand wusste, ob es eine scharfe oder eine Schreckschusswaffe war, man musste aber immer vom Schlimmsten ausgehen.

Ich dagegen hatte meine Dienstpistole natürlich nicht bei mir. Man ging ja nicht bewaffnet einkaufen. Es blieb mir also nur die Möglichkeit den Täter so lange im Auge zu behalten und zu verfolgen, bis Kollegen der Schutzpolizei eintrafen, die ihn festnehmen konnten. Bisher war jedoch weit und breit kein Streifenwagen zu sehen. Der größte Fehler für mich wäre, hier den Held zu spielen. Das Risiko der vorsichtigen Verfolgung war kalkulierbar und ich war bereit es einzugehen. Die Masse der Verfolger hatte sich solche Gedanken offensichtlich nicht gemacht. Sie waren auch von dem Schuss relativ unbeeindruckt und ließen keine Vorsicht erkennen.

Der Täter hatte seine Waffe in der Hand behalten und lief weiter, vorbei an der Laderampe des „Kaufhof“ zur Schillerstraße Ecke Große Packhoffstraße. Hier wurde es noch belebter, dafür aber auch unüberschaubarer. In Höhe eines kleinen Zeitungskioskes an der Ecke zur Rosenstraße gab er einen weiteren Schuss ab, weil er sich immer noch von den Verfolgern bedrängt fühlte.

Ich befand mich auf der anderen Straßenseite hinter den Vitrinen des Kaufhauses und konnte so gedeckt die Situation im Auge behalten.

Wieder war keine Wirkung des Schusses zu bemerken.

Meine Frau sah das allerdings anders. Sie war mir in einigem Abstand gefolgt und befand sich jetzt zwanzig Meter schräg hinter mir. Zu ihrem Entsetzen sah sie einen jungen Mann in meiner Nähe, allerdings außerhalb meines Blickfeldes, im Oberschenkel getroffen zu Boden sinken. Da ich von alldem nichts mitbekommen hatte, wusste ich natürlich auch nicht, welche Angst sie auszustehen hatte.

Merklich langsamer geworden lief der Täter durch die kleine Rosenstraße zur Kurt-Schuhmacher-Straße. Kurz bevor er die Einmündung erreicht hatte drehte er sich abermals um. Offensichtlich kam bei ihm jetzt Panik auf, als er erkannte, wie dicht seine Verfolger aufgeschlossen hatten. Er schrie sie an, dass sie ihm vom Leib bleiben sollten. Dann schoss er noch mal.

Aus meiner Sicht hatte ich den Eindruck, als hätte er diesmal vor die Füße der kleinen Verfolgergruppe gezielt.

Er rannte jetzt über die Kurt-Schuhmacher-Straße auf einen kleinen Parkplatz zu, der neben der Einfahrt zur Hauptpost liegt.

Obwohl das 12. Polizeirevier in der Herschelstraße nur hundert Meter entfernt in Sichtweite lag, waren immer noch keine Polizeikräfte zu sehen. Noch nicht einmal das Lärmen von Martinshörnern war zu hören. Da ich vermutete, das der Täter sein Fahrzeug auf dem Parkplatz stehen hatte, wandte ich mich an einen Autofahrer, der den Vorfall mitbekommen und mitten auf der Kurt-Schuhmacher-Straße gestoppt hatte. Er hupte ununterbrochen, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Vorfall zu lenken. Ich erklärte dem Fahrer, dass ich Kriminalbeamter sei und vermuten würde, dass der Bankräuber sein Fahrzeug auf dem kleinen Parkplatz hätte. Daraufhin ließ er mich einsteigen, um gegebenenfalls die Verfolgung mit seinem Fahrzeug weiterführen zu können. Ich wunderte mich noch kurz über sein engagiertes Verhalten, denn er sah nicht gerade wie ein Held aus.

Kaum saß ich auf dem Beifahrersitz, da sah ich den Täter unter den Arkaden auf den Haupteingang der Post zulaufen. Ich verließ daraufhin sofort wieder den Wagen und lief auf der Straße ebenfalls in diese Richtung. Eine Straßenbahn, die auf der Kurt-Schuhmacher-Straße vor ihrer Einfahrt in den Ernst-August-Platz gehalten hatte, benutzte ich als Deckung.

Jetzt erschien der erste Streifenpolizist auf der Bildfläche.

Ich war erleichtert. Endlich jemand mit einer Waffe, der überhaupt eine Chance gegen den Räuber haben konnte. Ich erkannte ihn dann auch, es war der Verkehrsposten, der den Fußgängerverkehr am Ernst-August-Platz regelte. Ein älterer Kollege, der in Hannover stadtbekannt war. Man könnte ihn fast schon ein hannoversches Original nennen. Er kam von seinem Standort - wahrscheinlich von einem Passanten auf den Vorfall aufmerksam gemacht - quer über den Platz gerannt und hielt sein weißes Stöckchen, das er zur Verkehrslenkung benutzte, wie eine Keule in der Hand. Als ich ihn so sah, hatte ich gleich das Gefühl, dass da etwas schief gehen würde.

Auf der Treppe zur Hauptpost muss es zum Zusammentreffen mit dem Täter gekommen sein. Da ich noch hinter der Straßenbahn stand, konnte ich den ersten Kontakt nicht sehen. Wieder dröhnte ein Schuss.

 

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